Gründungsstory IV: Rückschlag & Entscheidung
Ein guter Deal – doch für wen?
…so bat ich Clemens 50 Stück der afrikanischen Stoffe à 6 Yard zu kaufen. Der Verkäufer im Laden strahlte über beide Ohren, schließlich hatte er einen ziemlich guten Preis verhandelt und wir waren im Begriff, ihm den halben Laden leer zu kaufen. Für ihn muss es ein bisschen wie Weihnachten und Geburtstag zusammen gewesen sein, denn nicht alle Tage kommt irgendein Musungo (Fremder auf Swahili) zur Tür hineinspaziert, tippt auf seinem Smartphone rum, stellt ein paar Fragen, steigt in die Verhandlung ein und kauft 275 Meter Stoff. Doch der Kauf der Stoffe war nur ein Teil der Rechnung und wie sich herausstellen sollte, der einfachere. Wesentlich schwieriger zu klären war die Frage, wie wir nun 50 Stoffe möglichst ökologisch und dennoch bezahlbar nach Deutschland bekommen sollten. Klar denkt man bei dieser Frage zu allererst an den Seeweg. Doch bot kein Logistikanbieter für solch kleine Mengen, wir sprechen von ca. 45 kg Gewicht, einen Transport mit dem Schiff an. So waren wir gezwungen, auf Luftfracht auszuweichen, was sich für Clemens als organisatorischer Albtraum herausstellte. Es kostete ihn acht Stunden Zeit, diverse Telefonate, vier Post-Office-Besuche und jede Menge Nerven. Die Informationen, die er von verschiedenen Mitarbeitern bekam, wichen gravierend voneinander ab – zwischenzeitlich war es unklar, ob der Versand 400 oder 800 Euro kosten wird. Wie auch immer es ihm gelang, am Ende des Tages ging ein Paket, das aus unerfindlichen aber erfreulichen Gründen offiziell mit 25 kg deklariert war, mit der DHL nach Deutschland.
Wenn der Postmann zweimal klingelt…
Endlich – nach ca. zwei Wochen klingelte die DHL an meiner Tür. Ob ich runter kommen könne, das Paket sei schwer. Klar, und in der Tat war es schwer. Erstaunlich schwer – fühlte sich nach mehr als den 45 kg, die es lt. Clemens wirklich wog, an. Nach einem schweißtreibenden Aufstieg in den zweiten Stock, öffnete ich voller Vorfreude den Karton – aber, was war das?! Da standen mindestens zwei Dutzend Farbeimer vor mir?
Ein Blick auf den Lieferschein verriet, das Paket war nicht für mich, es war für eine andere Oldenburger Adresse und kam aus Italien, nicht Tansania. Also ab ans Telefon, DHL anrufen, das Missverständnis klären und warten – einige Stunde später stand das richtige Paket dann endlich vor mir. Gespannt öffnete ich es. Da waren sie! Knapp 275 Meter afrikanischer Stoffe. Farbenfroh strahlten sie mir entgegen. Ein wenig stolz darüber, das ich es tatsächlich geschafft hatte, nach all den Anstrengungen und Einbahnstraßen – ich erinnere mich an etliche ergebnislose Telefonate, unbeantwortete Emails und stundenlange Internetrecherchen – 50 Stoffe in Afrika gekauft, importiert und bis hierher geliefert zu haben, inspizierte ich nun jeden einzelnen von ihnen. Da fiel mir plötzlich etwas auf. Einige der Stoffe trugen andere Aufkleber als die meisten. Auf diesen stand sogar ein Name einer Produktionsfirma und um ehrlich zu sein klang der nicht nach Elfenbeinküste – wo die Stoffe laut Verkäufer herkommen sollten. Mit einem mulmigen Gefühl setze ich mich an meinen Computer und tippte den Namen dieser Firma ein. Und da stand es dann, schwarz auf weiß. Der Supergau. Nicht zu fassen. Eine chinesische Produktion.
Ich war gelinkt worden! Hatte es der Verkäufer im Laden selbst nicht besser bewusst oder hatte er uns einfach nur erzählt, was wir hören wollten? Es war egal, ich hatte 275 Meter Stoff in Afrika gekauft – aus chinesischer Produktion und die lagen nun vor mir. Das gesamte Projekt zerfiel gerade vor meinen Augen. Was machen? Aufgeben bevor man angefangen hatte? Aber was sollte dann mit den Stoffen passieren, ich hatte ja auch eine Stange Geld dafür bezahlt. Ein Gefühl wie nach einer nicht bestandenen Klausur, für die man sich wochenlang den Arsch aufgerissen hatte, überkam mich, nur deutlich intensiver als sonst. Das konnte doch nicht war sein! Ich musste nachdenken, verließ das Haus um etwas spazieren zu gehen und ein paar Telefonate zu führen.
Game Over?
Es dauerte nicht nur den Spaziergang, sondern einige Tage bis mit klar wurde, was zu tun war. Zugegebenermaßen, ich befand mich in der denkbar ungünstigsten Situation, in der man sich befinden konnte. Ein Online-Shop für afrikanische Stoffe zu eröffnen, um neue Absatzmärkte für afrikanische Produzenten zu etablieren und damit auf den unfairen Wettbewerb aufmerksam zu machen, erschien angesichts der chinesischen Fabrikate etwas suboptimal. Aber: die Idee von True Fabrics zu verwerfen, weil man gelinkt wurde und aufzuhören, bevor es überhaupt losging, erschien auch nach gründlicher Überlegung nicht die richtige Entscheidung zu sein. Denn was auch mit dem Verkauf dieser Stoffe blieb, war ein glücklicher tansanischer Kleinhändler, der ein vorzügliches Geschäft gemacht hatte. Außerdem würden wir 10% des Umsatzes an afrikanische Hilfsprojekte spenden und könnten auf die existenzbedrohende Situation, in der sich viele afrikanische Produzenten befinden, aufmerksam machen. Und mal im ernst, wer könnte dies nun authentischer tun als wir, die das eklatante Problem der Wax Print Imitation am eigenen Leib gespürt hatten. Natürlich mussten wir für die nächste Lieferung eine sichere Bezugsquelle finden, davon würde die Zukunft des Projekts abhängen. Aber die „Pros“ überwiegten und wenn wir, wie geplant, mit höchstmöglicher Transparenz über die Geschehnisse berichten würden, glaubte ich, dass unsere Kunden die größere Idee sehen würden, die hinter all dem stand und wissen, dass diese größer ist als die erste Lieferung.
Und eines kann ich an dieser Stelle verraten – es ist uns gelungen eine „echte“ Quelle zu finden – eine afrikanische Produktion, die seit über 100 Jahren hochqualitative (und echt afrikanische!) Stoffe produziert.